Als zwei- oder mehrsprachig gilt, wer zusätzlich zu seiner Muttersprache eine oder mehrere andere Sprachen in einer Einfachheit und mit einem Sprachumfang versteht und spricht, dass er mit einem Einheimischen zu vergleichen ist. Für das Erlernen einer weiteren Sprache gibt es generell zwei Hauptwege: Bei der sogenannten EPES-Methode (Eine-Person-Eine-Sprache) sind die Eltern in der Regel binational und jedes Elternteil spricht mit dem Kind in seiner Muttersprache. Bei der zweiten Methode gibt es eine Familien- und eine Umgebungssprache, was bedeutet, dass das Kind innerhalb der Familie eine andere Sprache spricht als in seinem sozialen Umfeld.
Grundsätzlich sollte ein Kind rund 30 Prozent der Tageszeit mit einer weiteren Sprache in Berührung kommen, um zweisprachig aufzuwachsen. Dabei sollte eine intensive emotionale Beziehung zu den Personen bestehen, die in der jeweiligen Sprache zu ihm sprechen. Das „künstliche“ Wiederholen oder Nachsprechen von Vokabeln durch einen Nicht-Muttersprachler führt in der Regel nicht zu einer natürlichen Mehrsprachigkeit.
Je jünger, umso schneller
Kleinkinder kommen mit einer neuen Umgebungssprache meist durch den Besuch einer einheimischen Spielgruppe oder des Kindergartens das erste Mal in Berührung. Dort lernen sie die zweite Sprache meist spielerisch. Sie ahmen die gehörten Laute und Worte einfach nach, genauso wie sie zuvor ihre Muttersprache erlernt haben. Im Alter von circa vier Jahren haben sie die Struktur der Sprache von selbst entschlüsselt. Und auch wenn sie die neue Sprache nicht gleich sprechen können oder wollen, erwerben sie doch ein passives Sprachvermögen, das später in der Schule zur vollen Entfaltung kommt.
Schulkinder tun sich nach einem Umzug ins Ausland oft etwas schwerer, die neue Sprache zu lernen. Zwar verfügen auch sie über das Potenzial, eine Fremdsprache in kürzester Zeit fließend zu sprechen, jedoch haben sie die Unbekümmertheit eines Kleinkindes verloren. Sie verspüren oft genauso wie Erwachsene Scheu, in der neuen Sprache Fehler zu machen und sich vor Muttersprachlern zu blamieren. Das hält sie davon ab, neu Gelerntes einfach auszuprobieren und durch gemachte Fehler ständig dazuzulernen.
Aber nach einer gewissen Eingewöhnungszeit unter Gleichaltrigen können ihre Eltern meist nur staunen, wie souverän sie sich plötzlich in der Landessprache bewegen. Selbst Gestik und Mimik werden übernommen, sodass Kinder zwischen non-verbalen Ausdrucksweisen genauso hin- und herwechseln wie zwischen den Sprachen selbst.
Sprachen mischen
Trotz aller Bemühungen kommt es insbesondere bei Vorschulkindern häufig vor, dass sie Sprachen vermischen. Eltern vermuten dann oft, dass das Kind überfordert ist und deshalb alles durcheinanderwirft. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass auch einsprachige Kinder häufig nicht immer das richtige Wort verwenden oder grammatikalische Fehler machen, was wir meist als niedlich und wenig besorgniserregend empfinden.
In zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass das menschliche Gehirn durchaus in der Lage ist, mehrere Sprachen gleichzeitig zu erwerben, ohne dass dadurch andere Fähigkeiten eingeschränkt werden. Beste Beispiele bieten multilinguale Länder wie die Schweiz, Kanada oder auch Belgien, in denen Kinder ganz selbstverständlich zwei oder mehrere Sprachen erlernen.
Die Sprachmischung ist vor allen Dingen eine Frage des Wortschatzes. Fällt dem Kind der gesuchte Begriff in der einen Sprache nicht sofort ein, sagt es ihn eben in der anderen. Ursache ist also die in dem jeweiligen Moment stärkere Präsenz des Wortes in der einen Sprache, etwa weil dieses zuerst erlernt wurde oder weil es im täglichen Sprachgebrauch häufiger verwendet wird. Darüber hinaus trägt dazu bei, dass die Eltern entweder selbst zwischen den Sprachen hin- und herspringen oder zumindest den Mischmasch gut verstehen und darauf reagieren.
Machen Sie Ihre Kinder nicht ständig auf das Mischen aufmerksam, sondern wiederholen Sie einfach schnell das passende Wort – ohne weiteren Kommentar – in der aktuell gesprochenen Sprache. In der Regel lernen die Kinder mit der Zeit ganz von selbst, welche Wörter zu welcher Sprache gehören.
Im Übrigen wird auch Lesen und Schreiben lernen durch eine zweite Sprache nicht erschwert. Im Gegenteil: Das Sprechen mehrerer Sprachen fördert das linguistische Grundverständnis der Kinder, sodass sich die Lese- und Schreibkompetenzen später häufig besser entwickeln als bei einsprachigen Kindern. Daneben gelten mehrsprachige Kinder als besonders kreativ, geistig flexibel und haben ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen, so die neuesten Forschungsergebnisse.
Wenn das Deutsche schwindet
Nach einer längeren Zeit im Ausland muss bei vielen Kindern die deutsche Muttersprache zusätzlich gefördert werden, da durch die Schule und den täglichen Umgang mit Freunden die Umgebungssprache immer stärker in den Vordergrund gerückt ist. Das konsequente Sprechen der “schwachen” Sprache ist dann die erste Bedingung für das Gelingen einer ausgewogenen zweisprachigen Erziehung. Auch das Schreiben auf Deutsch gehört zur aktiven Förderung mit dazu und kann am besten in einem professionell gestalteten Deutschunterricht gelehrt werden. Die Deutschen Samstagsschulen oder die Deutsche Fernschule haben entsprechende Angebote. Bücher, Musik, Videos oder Apps können ebenfalls zum notwendigen Ausgleich beitragen – sofern die Kinder an den Inhalten wirklich interessiert sind!
Oftmals ist es auch eine Frage der Motivation oder der Identität, inwieweit Kinder im Ausland bereit sind, Deutsch zu sprechen. Viele haben einfach das Gefühl, dass sie ihre Muttersprache nicht mehr wirklich „brauchen“, wenn diese nur zu Hause gesprochen wird und die Eltern inzwischen vielleicht sogar selbst häufig in der Landessprache sprechen. Warum also zwischen den Sprachen hin- und herwechseln, wenn man auch ohne klarkommt? Oft wird die deutsche Sprache sogar gänzlich verweigert, weil sie als Abgrenzung vom für Kinder und Teenager so bedeutenden sozialen Umfeld empfunden wird.
In diesem Fall kann der Kontakt zu anderen Deutschen die entscheidende Wende bringen. So finden viele Kinder wieder mehr Freude an ihrer Familiensprache, wenn sie feststellen, dass diese ja auch von anderen Menschen außerhalb des Hauses gesprochen wird. Die verweigerte Muttersprache gewinnt plötzlich wieder an Wertigkeit. Besonders motivierend ist für die meisten Kinder eine Reise in das Land, in dem die “schwache” Sprache die Umgebungssprache ist und die “starke” Sprache ausgeblendet wird. Sie tauchen schnell in die vertraute Muttersprache ein und können nach wenigen Wochen (wieder) so gut sprechen wie ihre Altersgenossen. Regelmäßige Heimaturlaube in Deutschland können also wahre Wunder bewirken.
Ein Leben lang?
Zieht die Expat-Familie nach einigen Jahren zurück nach Deutschland oder in ein anderes Land, gehen einmal erworbene Sprachkenntnisse sehr schnell wieder verloren. Zwar könnten die Kenntnisse später wieder aktiviert werden. Einfacher ist es jedoch, die zweite Sprache auch zurück in Deutschland weiter zu fördern, beispielsweise durch Sprachunterricht, ein Au-Pair aus dem früheren Gastland oder die Nutzung entsprechender Medien. Bleiben die Sprachkenntnisse auch über einen längeren Zeitraum nach der Rückkehr erhalten, war die Auslandszeit allein aus diesem Grund ein großer Gewinn für die weitere Zukunft der Kinder.