Wie Kinder Deutsch als Fremdsprache lernen

Wenn Kinder ab 3 -4 Jahren mittels Unterrichts eine neue Sprache erlernen, spricht man von einer Fremdsprache. Haben sie regelmäßig Kontakt zu einer anderen Sprache als ihrer Muttersprache, z.B. als Umgebungssprache im Ausland, wird diese oft als Zweitsprache bezeichnet. Die Übergänge können jedoch fließend sein.

Sprache braucht Zeit

Prinzipiell ist der sprachliche Input beim Erwerben der Muttersprache oder auch einer Zweitsprache deutlich höher als beim Erlernen einer Fremdsprache. Bevor ein Kleinkind seine Muttersprache spricht, hört es diese täglich über viele Stunden, sogar schon vor der Geburt im Mutterleib. Sich das vor Augen zu halten, verdeutlicht, dass es auch viel Zeit braucht, ehe eine Fremdsprache aktiv gesprochen wird. Kinder sind oft lange Zeit rein mit Hören und Verstehen beschäftigt, ehe sie eine Sprache aktiv nutzen. Das gilt sowohl für den Erwerb der Muttersprache, bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern und auch für das Erlernen einer Fremdsprache nach dem dritten Geburtstag. Kinder verstehen fast immer mehr als sie zu sprechen bereit sind. (siehe auch Mein Kind antwortet nicht auf Deutsch)

Wie funktioniert ein Sprachbad?

Insbesondere für jüngere Kinder gleicht daher der angebotene Fremdsprachenunterricht oft einem künstlich erzeugten „Sprachbad“ nach dem Vorbild des Erlernens der Muttersprache. Es wird ausschließlich in der Zielsprache gesprochen, damit die Kinder möglichst viel aufnehmen und verarbeiten. Die Lehrkraft wird beim Sprechen auf Dinge zeigen, sämtliche Handlungen in simplen Sätzen erklären und alles mit viel Gestik und Mimik unterstreichen. Die Kinder führen dann ebenfalls Tätigkeiten aus und demonstrieren so, was sie verstanden haben. Mitmachlieder oder Bastelaktivitäten eignen sich zum Beispiel gut, um physisch auf sprachliche Aufforderungen zu reagieren. Das aktive Sprechen der Kinder wird erst später angeregt.

Die total immersion Methode im Unterricht funktioniert aus meiner Sicht aber nur wirklich gut, wenn Kinder viel Zeit im Sprachbad verbringen können. Bei nur ein oder zwei kurzen Unterrichtseinheiten in der Woche ist der erzielte Effekt meist nicht groß genug, um mit dem Nachahmen des Erwerbs einer Muttersprache wirkliche Erfolge zu erzielen. Wie anfangs bereits gesagt, es braucht viel Zeit, um eine Sprache zu lernen. Daher sind viele kleine Lerneinheiten pro Woche, im Unterricht und zu Hause, der beste Weg.

Anknüpfungspunkte finden

Darüber hinaus gilt, dass Kinder eine Fremdsprache am besten lernen, wenn die vermittelten sprachlichen Inhalte an ihre Lebenswelt anknüpfen und in ein bestehendes Wissensnetz eingefügt werden können. Interessieren sich Kinder also gerade für Dinosaurier oder Pferde, sollten diese im Sprachunterricht nicht fehlen. Der vermittelte Wortschatz sollte Sinn und Relevanz bieten und zwar aus Sicht des Kindes!

Kinder wollen zudem neue Dinge erforschen. Sie sind neugierig und engagiert dabei, wenn es etwas Spannendes oder Interessantes zu sehen gibt. Und sie wollen beim Lernen aktiv dabei sein, also sich bewegen, spielen, singen, tanzen und die gehörte Sprache imitieren. Daher brauchen Kinder vielseitige Berührungspunkte mit der zu erlernenden Sprache, z. B. durch Vorlesen, Lieder, Reime, einfache Rollenspiele, Hörspiele, Videos, Filme und Online-Spiele in wohldosierten Einheiten.

Die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern ist je nach Altersstufe unterschiedlich lang, aber alle verlieren schnell die Konzentration, wenn die Lerninhalte langweilig erscheinen und nicht zu ihrem Erfahrungshorizont passen. Daher sind Standard-Deutschkurse, in denen die Teilnehmer beispielsweise lernen, wie man ein Hotelzimmer bucht, natürlich nicht für Kinder geeignet.

Es ist übrigens wissenschaftlich bewiesen, dass Kinder generell am besten lernen, wenn mehrere Sinne gleichzeitig angesprochen werden. Gute sind daher Gegenstände zum Anfassen oder das Ausmalen von passenden Bildern, wenn neue Vokabeln gelernt werden, das Nachsingen von Phrasen, das Hören und stille „Mitlesen“ eines Buches und natürlich Bewegungsspiele. Auch kleine Experimente, imaginäre Abenteuerreisen und Schatzsuchen begeistern. Abwechslung und Vielfalt sind das A und O. (siehe auch Mit Kindern Deutsch lernen)

Kognitive Entwicklungsstufen

Gehen wir etwas weiter in die Tiefe, sollten sich Lehrende (Lehrer und Eltern) stets der kognitiven Entwicklungsstufe ihrer jungen Schüler bewusst sein. Mit rund 4 Jahren können sich Kinder simple Sätze mit drei bis vier Wörtern merken. Erst mit etwa 6 Jahren kann ein Kind über Erinnerungen sprechen. Und die Fähigkeit, sich verschiedene Aufgaben zu merken und diese hintereinander auszuführen, ist meist mit 7 Jahren vorhanden. Siebenjährige sind auch in der Lage, Gegenstände zu beschreiben und zu vergleichen. Mit 8 Jahren kann ein Satz mit zehn Wörtern aus dem Gedächtnis abgerufen werden. Ein vierjähriges Kind kann also noch nicht den letzten Urlaub nacherzählen. Und vor dem 7. Geburtstag müssen Aufgabenstellungen so kurz und einfach wie möglich gehalten sein. Zu frühe Anforderungen erzeugen Druck und blockieren das Lernen.

Auch die emotionale und soziale Entwicklung eines Kindes muss beim Erlernen einer Fremdsprache in Betracht gezogen werden. Ist eine hemmungsfreie Kommunikation in einer Gruppe möglich? Fühlt sich ein Kind selbstbewusst genug, Fehler zu machen? Kann es zuhören und stillsitzen? Wieviel Bewegung und Pausen braucht es, damit es sich gut konzentrieren kann?

Lesen und Schreiben in einer Fremdsprache macht meist erst ab 8 Jahren Sinn, wobei es auch Länder und Lehrwerke gibt, in denen die Schriftsprache von Anfang an mitgelernt wird. Dem Entwicklungsstand des Kindes entsprechend stehen jedoch prinzipiell Hören und Verstehen vor dem Lesen, und das Sprechen vor dem Schreiben.

Wohlfühlatmosphäre schaffen

Neben allen hier genannten Punkten ist aber auch der gute persönliche Bezug zum Lernumfeld und eine vertrauensvolle, angstfreie Beziehung zu den involvierten Personen nicht zu vergessen. In Gruppen ist das Gemeinschaftsgefühl wichtig, jedes Kind muss sich beim Lernen wohlfühlen können.

Kinder und Lehrende sollten gemeinsam Spaß haben und die Sprache miteinander erleben und ausproben. Das gilt sowohl für den Fremdsprachenunterricht als auch beim Lernen zu Hause. Denn nur wer gerne lernt, wird lange genug dabei bleiben, um die Fremdsprache eines Tages auch wirklich zu sprechen.

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